exilgedanken #1

Zuschauen beim Untergang

6/22/20251 min read

Ich sitze hier, auf sicherem Boden, irgendwo zwischen anderen Sprachen, anderen Cafés, anderen Krisen – und sehe zu, wie mein altes Zuhause taumelt. Deutschland. Das Land, das mir mal erklärt hat, wie Ordnung geht. Das Land, das sich für so klug hielt, so aufgeklärt, so zukunftsfähig. Und jetzt? Eine müde Republik auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit. Kein Knall, kein Drama. Nur dieses langsame, lähmende Absacken. Als würde man in Zeitlupe ertrinken.

Von außen sieht man klarer. Und was ich sehe, tut weh. Da ist diese Angst, überall. Nicht die greifbare, schützende Angst – sondern die klebrige, stumpfe. Die Menschen fürchten sich vor allem: vor Veränderung, vor Zugezogenen, vor sich selbst. Sie schreien nach Sicherheit, während alles wackelt. Die einen rufen nach Verboten, die anderen nach Mauern. Dazwischen: Leere. Keine Vision, keine Idee, nur Streit ums Verwalten.

Ich sehe, wie das Vertrauen zerbricht. In die Politik, in die Medien, in die Institutionen. Und ich frage mich, wie es so weit kommen konnte. Wie ein Land, das alles hatte – Wohlstand, Bildung, Demokratie – so still resignieren konnte. Wie man sich daran gewöhnen kann, dass Busse nicht mehr fahren, Schulen verfallen und Krankenhäuser schließen. Und keiner glaubt mehr, dass sich das noch mal dreht.

Aus der Ferne wächst die Ohnmacht. Ich kann nichts tun. Nur beobachten, schreiben, schreien ins Digitale. Manchmal fühlt sich das an wie Verrat: dass ich nicht da bin. Aber vielleicht ist gerade das der Punkt. Exil heißt auch: Klarheit. Nicht mehr mittendrin zu sein, um endlich zu sehen, wie krank das alles geworden ist. Und vielleicht ist genau das der erste Schritt: Hinschauen, benennen, aushalten. Auch wenn’s weh tut.

Willkommen bei Exilgedanken.